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1. Worum geht es?
Ein gewöhnlicher Erbfall ist schon kompliziert genug. Mit dem Nachlass geht alles Eigentum, gehen alle Rechte des Erblassers auf die oder den Erben über. Doch das ist längst nicht alles!
Wie steht es mit den „Hinterlassenschaften“ in der modernen Kommunikationswelt? Social Media wie Facebook, Xing, YouTube und Co. sind längst kein Privileg mehr der IT-verliebten Jugend. Und mit Mails ist Oma schon seit mehr als zehn Jahren unterwegs. Ganz zu schweigen von inzwischen allgemein üblichem Online-Banking oder Transaktionen über Online- Versandhändler. Die „Online-Welt“ ist aber im Erbrecht noch nicht ganz angekommen.
Was ist der Kern des Problems: Die Gegenstände und Rechte, die dem Vermögen des Erblassers üblicher Weise zuzuordnen sind, lassen sich buchstäblich begreifen oder sind in irgendeiner Form dokumentiert: Ein Grundstück, ein Schmuckstück, ein Guthaben auf dem Sparbuch (= Forderung gegenüber der Bank), ein Depot mit Aktienpositionen oder eine Hinterbliebenenrente gegenüber dem Staat oder dem ehemaligen Arbeitgeber. Was ist aber mit der noch nicht abgerufenen Mail, den Eintragungen bei Facebook, den sonstigen Online-Profilen, der eigenen Web-Seite oder mit den irgendwo in der „Cloud“ hinterlegten Informationen.
Schon in der Praxis ist die Erbabwicklung kompliziert genug – in der juristischen Theorie ist es leider nicht einfacher. Hier mixen Erbrecht, Urheberrecht, Datenschutzrecht, Grundrechtsschutz und post-mortale Persönlichkeitsrechte einen schwer bekömmlichen Cocktail.
2. Die Interessen des Erblassers und die Interessen der Erben bzw. Angehörigen
a. Welche Interessen mag der Erblasser hinsichtlich der o. a. Probleme verfolgen?
Er mag es z. B. wünschen, dass seinen Erben Ärger erspart bleibt, dass sie Zugang zu bestimmten Informationen (z.B. Mails) erhalten, um die Dinge leichter abwickeln zu können oder um noch bestimmte Rechte für den Nachlass geltend zu machen. Aber: Nicht selten wünscht es der Erblasser, dass bestimmte Dinge und Geschehnisse eben nicht postum ans Tageslicht gelangen, sozusagen als Ausdruck seiner fortwirkenden allgemeinen Persönlichkeitsrechte. Er möchte damit z.B. vermeiden, dass es unter den Erben Streit gibt oder dass nachträglich sein guter Ruf verletzt wird. Die testamentarisch verfügte Auflage „Verbrennt alle Briefe und Tagebücher“ könnte also in unseren modernen Zeiten lauten: „Löscht alle Mails und Informationen auf allen Accounts“.
b. Das gewöhnliche Interesse der Erben und Angehörigen dürfte daher mit dem Interesse des Erblassers nicht immer gleichlaufen. Bloße Neugierde, Geltungssucht, überzogenes Gerechtigkeitsdenken oder gar das Interesse an der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen bzw. deren Verhinderung („Wäre es nicht nützlich unter den tausenden von gespeicherten Mails diejenigen herauszufischen, die die Durchsetzung bestimmter erbrechtlicher Ansprüche erleichtern bzw. eine solche anderen Angehörigen erschweren“). Oder der Wunsch, einige der allzu offen nach außen getragenen Kundgebungen des Erblassers in Form von Fotos, Online-Profilen oder Kommentaren einfach verschwinden zu lassen. Kein Wunder: Wenn täglich ca. 200 Mio. (!) Fotos bei Facebook hochgeladen werden, wird die eine oder andere Peinlichkeit für die Angehörigen bestimmt darunter sein.
3. Was könnte von den Erben bzw. Angehörigen konkret und wo / wie verlangt werden?
a. Providerverträge und Cloudinhalte
Nach sich langsam durchsetzender Ansicht geht der Providervertrag (also bzgl. Mailaccount etc.) auf den bzw. die Erben über, also auch der Zugriff auf noch nicht abgerufene oder schon abgerufene und noch dort auf dem Server vorhandene Mails. Hier ist noch einiges umstritten, d.h. es herrscht noch keine Rechtssicherheit. Dieser Anspruch schließt auch die Auskunft über dem Erben unbekannte Passwörter ein, um überhaupt den Zugriff zu erlangen. Ohne ausdrückliche Ermächtigung dürfte der Provider somit diese Daten nicht löschen. So sollte es auch mit Cloudinhalten sein. Damit scheint sich ein Gleichlauf der „Offline-Welt“ mit der „Online-Welt“ herauszukristallisieren. Zum Teil verfahren einige Provider allerdings in etwas anderer Weise. Web.de, gmx und 1&1 überprüfen i.d.R. nach sechs Monaten „Funkstille“, ob der Accounthalter noch lebt bzw. aktiv ist. Dieser wird sodann angeschrieben und in Ermangelung einer Reaktion wird nach sechs weiteren Monaten das Account gelöscht.
b. Übergang der Domain
Die Erben treten ebenfalls in das Vertragsverhältnis/Nutzungsrecht der Domain ein (mit der DENIC e.G.). Gleiches gilt für den Vertrag mit einem Administrator hinsichtlich einer Web-Seite.
c. Hinterlassenschaften bei Facebook, Twitter und Co.
Auch hier sollten es die Erben bestimmen, wie die bisherigen Rechte des Nutzers nun wahrgenommen werden (Löschung oder Fortführung, etc.).
Bei Facebook besteht neben der Löschungsoption die Gelegenheit, das Account in einen sogenannten „Gedenkstatus“ umzuwandeln, sodass das Profil nur noch für „bestätigte Freunde“ sichtbar bleibt.
Ohne eine entsprechende Initiative der Erben oder der Angehörigen werden jedoch die meisten Provider von sich aus nicht tätig werden.
Langsam scheint sich also die Ansicht durchzusetzen, dass die Verfügungsmöglichkeit und der Zugriff auf Inhalte im Netz allein den Erben zustehen und dass auf die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen nicht Rücksicht genommen werden muss.
Im „Kampf“ um die Daten, Mails und sonstigen Informationen zwischen beispielsweise der zur Alleinerbin eingesetzten Lebensgefährtin und den enterbten Kindern des Erblassers wären also nach der wohl im Vormarsch befindlichen Ansicht letztere auf verlorenem Posten. Hier sind zwei Einschränkungen vorzunehmen: Zum einen gibt es zu dem Themenkomplex noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Zum anderen kann der Erblasser im Rahmen seiner allgemeinen Gestaltungsfreiheit, so wie er sie ja schon bei der Errichtung eines Testaments ausschöpft, hiervon abweichende Regelungen vornehmen (siehe unten unter 5.).
4. Praktische Fragen I: Nachweis und Legitimation
In der Regel werden die Provider zum Nachweis der Zugriffs- und Verfügungsmöglichkeit über die Accounts bzw. Inhalte nicht nur die Sterbeurkunde, sondern vor allem einen Erbschein verlangen. Dieser ist bekanntlich für die sonstige Abwicklung des Nachlasses häufig unentbehrlich. In einigen Fällen mag vielleicht schon eine Todesanzeige als Nachweis genügen.
Ausreichend sollte auch ein vom Nachlassgericht eröffnetes notarielles Testament sein. Diese Form des Nachweises und der Vorgehensweise erscheint recht einfach zu sein, wenn überhaupt der Provider bekannt ist und es sich nicht um einen kostenlosen Mailanbieter handelt. Kostenlose Mailanbieter verzichten allerdings häufig auf eine Identifikation des Nutzers, sodass unter dem „amtlichen“ Namen des Verstorbenen häufig das Account nicht ermittelt werden kann. In der Praxis ist hier schwieriger, an das Account heranzukommen.
5. Praktische Fragen II: Gestaltungsmöglichkeiten
Es kann nicht genügend betont werden, dass die oben beschriebenen Grundsätze (die allgemeinen Nachfolgeregelungen gelten auch für die Erben in der Online-Welt) von allen Beteiligten und Providern in der Zukunft anerkannt werden.
Daher kann es Sinn machen, wenn der Erblasser im Rahmen seiner testamentarischen Verfügungen klarstellt, ob er es wünscht, dass der Zugriff auf seine Mails und Onlinedienstleister ebenfalls auf die Erben übergeht oder ob hierfür abweichende Regelungen gelten sollen. Wünscht er eine abweichende Regelung, so wäre es allerdings ein stumpfes Schwert, wenn der Erblasser in seinem Testament lediglich anordnen würde, dass solche Daten bzw. Zugriffe nicht auf seine Erben übergehen, sondern gelöscht werden sollen bzw. auf andere Personen als seine Erben übergehen soll. Denn wie sollte diese als Auflage zu bezeichnende testamentarische Verfügung praktisch umgesetzt werden. In diesem Falle scheint es eher angeraten, dass hierfür Testamentsvollstreckung angeordnet wird. Testamentsvollstreckung kann in solchen Fällen nur für einen Teil der Nachlassabwicklung, in diesem Falle die Abwicklung der Accounts und Social Media, vorgesehen werden.
In diesem Zusammenhang macht es natürlich nur Sinn, wenn der Erblasser im Rahmen seiner Verfügungen möglichst konkret alle Provider oder sonstige Dienstleister aufführt, mit denen er Verträge unterhalten hat bzw. die ihn betreffende Inhalte vorhalten.
6. Exkurs: Passwörter
Passwörter sind in unserer Zeit eine reine Landplage. In dem Maße wie wir Onlinedienste in Anspruch nehmen, müssen wir regelmäßig bestimmte Passwörter, schon aus Sicherheitsgründen, anlegen. Wegen der unterschiedlichen Anforderungen (Groß- oder Kleinschreibung, nur Buchstaben, nur Zahlen oder eine Kombination von beidem) gibt es kein Standardpasswort, das für alle Anwendungen passen könnte. Also tragen wir alle entweder mit uns zehn oder mehr Passwörter herum oder richten diese mehr oder weniger fantasievoll mit Eselsbrücken ein („D7Zhd7B“ für „Die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen“) oder variieren diese systematisch (z.B. “passwort20x14_Amaz“ für Amazon-Online-Käufe im Jahre 2014). Letztere dürften dann beim Geldautomaten als PIN-Code nicht durchgehen. Alternativ lässt sich auch eine Liste sämtlicher Passwörter auf dem Handy oder/und PC ablegen, deren Zugriff über ein Masterpasswort geschützt ist. Das Problem: Wie kommt man an die Passwörter, wenn das Handy gestohlen ist oder die Festplatte von einem Virus befallen ist.
Wie ich oben erwähnt hatte, müssen die einzelnen Provider, sofern der Übergang der Rechte bzw. die Erbfolge per Erbschein oder ähnlichem nachgewiesen werden kann, den Zugriff auf das Account ermöglichen und dafür ggf. die Erteilung eines neuen Passworts akzeptieren.
Das alles ist natürlich schon zu Lebzeiten sehr unbefriedigend. Wenn nun der Erblasser diesen unbeschränkten Zugang zu all seinen Accounts nach seinem Tode geben möchte, so erleichtert es dem Erben die Vorgehensweise, wenn die Passwörter irgendwo hinterlegt oder sonst in einem geschützten Bereich anzutreffen sind. Hier greifen die Rechtsgenossen zu den unterschiedlichsten Möglichkeiten. Gelegentlich wird eine Liste der Passwörter beim Notar hinterlegt oder der Erblasser hinterlegt diese in einem Safe bei der Bank. In beiden Fällen wird es nicht ohne Komplikationen abgehen, da wir ständig entweder freiwillig oder unfreiwillig unsere Passwörter ändern und sodann die hinterlegten Listen auch geändert werden müssen.
Ob es Sinn macht, stattdessen auf eine neuerdings auch im Web propagierte passwortgeschützte Cloudlösung zurückzugreifen oder über ein „Masterpasswort“ sämtliche Passwörter in einer Datei auf der Festplatte zu schützen, kann ich nicht beurteilen.
Am Ende muss jeder selber entscheiden, wie er mit dieser Geißel der Online-Welt umgeht.
Die leichtere Übung ist es jedenfalls, in einer eindeutigen testamentarischen Verfügung festzulegen, wer nach dem Ableben Zugriff auf diese Daten haben soll oder ob z.B. diese alle gelöscht werden sollen. Für weitere Fragen zu diesem äußerst spannenden Komplex stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung und verbleibe mit freundlichen Grüßen.
Ihr Rechtsanwalt Dr. Matthias Baus
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