„Es gibt nicht nur eine Perspektive“

Allgemein

Hier finden Sie im Artikelformat die Newsletter, die ich in den letzten ca. 10 Jahren an meine Mandanten und an interessierte Kreise per Mail versandt habe. Diese stellen eine allgemeine Information und keine individuelle Beratung dar. Wünschen Sie die Aufnahme in die Liste der Empfänger zukünftiger Newsletter, so teilen Sie mir dies bitte über das Kontaktformular mit. Vielen Dank.

Seit fast 10 Jahren versorge ich Sie mit meinem Newsletter, der sich immer auf einen der vielen juristischen Aspekte des Erbrechtes, des Verschenkens oder der Vorsorge konzentriert.

Gelegentlich kommen dabei Psychologie und Emotion zu kurz. Mit diesem Newsletter soll es anders sein – denn heute stehen in erster Linie Erwartungen, Enttäuschungen oder sonstige Gefühle, Emotionen oder Beweggründe im Vordergrund.

1. Im Normalfall ist der Verlauf der Dinge:

Der Erblasser vererbt sein Vermögen.

Der oder die Erben erhalten dieses Vermögen bzw. die Gesamtheit der Nachlassgegenstände.

Für den Erblasser stellt dieses häufig mehr als nur das Sammelsurium von allem dar, was er so besitzt. Nicht selten unterhält er eine innige, ja emotionale und langjährige Beziehung mit den einzelnen Teilen seines Vermögens:

  • zu dem Familienheim, das er über Jahrzehnte bewohnt hat
  • zu dem Unternehmen oder Betrieb, das er so strebsam aufgebaut hat
  • zu der Münzsammlung, die er sich so sorgsam zusammengesucht hat
  • zu dem Oldtimer, den er gehegt und gepflegt hat ……..
  • Der eine Erbe, der häufig andernorts und unter völlig anderen Lebensumständen wohnt, mag sich mit Wehmut oder in völliger Abnabelung an die Immobilie seiner Kindheit erinnern. Heute stören ihn die Badezimmer im Charme der 70er Jahre oder das etwas plüschige Interieur, das wenig zum Wohlfühlen anmutet. Ein anderer Erbe ist vielleicht Mitte 50 und hat sich vor über 30 Jahren für einen völlig anderen Berufsweg entschieden, er denkt langsam über die herannahende Pensionierung nach oder sehnt sie gar herbei. Der Betrieb der Eltern ist ihm fremd geworden

Und die Münzsammlung fand er schon immer langweilig und das Getue um den Oldtimer völlig übertrieben. Es war nie seine Münzsammlung und es war nie sein Oldtimer.

Bei wiederum einem anderen Erbe mag es gerade das Gegenteil sein: Er ist ganz versessen auf den Oldtimer und würde es als größte Herabsetzung ansehen, wenn dieser ihm im Testament nicht ausdrücklich zugedacht würde.

Als Jurist und Rechtsanwalt muss man hier umdenken. Bei dem Vererben und dem sich anschließenden Verteilen geht es offensichtlich nicht nur um die formale Zuordnung und Verteilung von „Eigentumsrechten“ an bestimmten Gegenständen, sondern darum, wer unbedingt bestimmte Dinge als seine bezeichnen und besitzen will und er sie auch deshalb erhalten soll. Und das alles natürlich ohne rechtlich und emotional unvertretbare Zurücksetzung anderer Erbaspiranten, wenn einer zu sehr vom „Habenwollen“ angetrieben ist !

Und nicht zu vergessen: Oft denkt man sich den Familienzusammenhalt gefestigter und störungsfreier, als ihn die Wirklichkeit später gestaltet. Neid und Eifersucht tun das übrige.

Daraus resultieren ein paar Lebenserfahrungen, es gibt nämlich nicht nur eine Perspektive:

 

  • Der Erblasser überschätzt häufig den emotionalen, leider auch gelegentlich den wirtschaftlichen Wert der von ihm hinterlassenen Gegenstände.
  • Nicht selten täuscht er sich auch über die Präferenzen oder Lebensausrichtungen seiner Erben (die ja meistens deutlich jünger sind als er) und wendet diesen Dinge zu, die sie, wenn es nicht gerade Geld ist, nicht schätzen oder auf die sie keinerlei Wert legen.
  • Wenn dem so ist, dann liegt diese Fehleinschätzung häufig daran, dass entweder den Präferenzen und Lebenskonzepten der Erben nicht genügend auf den Grund gegangen wurde (durch einfache Befragung !) oder dass die so erlangten Antworten, sei es aus Höflichkeit, (falscher) Bescheidenheit, Scham oder Desinteresse nicht belastbar sind. Wer sagt dem 79-jährigen Vater denn gerne, dass man den ollen Oldtimer nicht haben möchte oder der Mutter, dass man als erstes den Schmuck zur Auktion einliefern würde.
  • Also: Ohne ein Mindestmaß an Kommunikation und Ehrlichkeit wird man häufig fehl liegen, Erwartungen enttäuschen oder Bürden auferlegen, die nicht gewünscht sind.
  • Häufig unterbleibt die erforderliche Kommunikation auch deshalb, weil die Erblasser befürchten, damit eine Lawine loszutreten. Sie denken: Wenn wir mit dem einen reden, müssen wir auch mit dem oder den anderen reden. Dann kommen alle und äußern ihre Erwartungen und der Konkurrenzdruck ist sofort da. Also lieber nicht reden und nichts machen. Ohne Mut und Willen zu einer regelrechten „Familienkonferenz“ kommt man hier nicht weiter.
  • Neid und Eifersucht werden oft unterschätzt, die sich erst dann frei entfalten, wenn der Patriarch (oder die Patriarchin) abgetreten sind.
  • Ab und zu sind auch die Erblasser nicht ehrlich gegenüber sich selbst (und auch den Erben gegenüber): Das Testament hört sich sehr eindrucksvoll an, es soll auch den erreichten Wohlstand des Erblassers widerspiegeln, doch in Wirklichkeit ist viel weniger an Substanz dar und das Wenige wird auch noch kompliziert und streitanfällig vererbt. „Make it simple“ ist Trumpf !

2. Ist dagegen kein Kraut gewachsen ?

Sicher, wenn in der Familie schon immer viel (und offen) kommuniziert worden ist, wird es auch bei diesem Thema leichter sein. Oder: Wenn es auf der Hand liegt oder sonst offensichtlich ist, dass keines der Kinder das Eigenheim, den Oldtimer oder die Ferienwohnung an der Ostsee haben will und diese auch so langsam zur Last werden – warum sich nicht einfach zu Lebzeiten von dem Gegenstand und von dessen Last regelrecht befreien und ihn veräußern?

Der Gegenwert (= Geld) ist immer einfacher zu vererben. Oder, aber nur wenn man wirklich gut versorgt ist: Der erhaltene Gegenwert oder Teile davon werden noch zu Lebzeiten zum Zwecke der Reduzierung zukünftiger Erbschaftsteuer per Schenkung übertragen.

3. Und natürlich haben die Juristen immer noch ein paar Pfeile im Köcher:

  • Wenn partout ein Gegenstand für wichtig erachtet wird, aber dessen Zuordnung zu Lebzeiten einfach noch nicht erfolgen kann, so bieten bestimmte Vermächtniskonstruktionen oder auch die Testamentsvollstreckung (ggf. nur auf diesen Teilbereich beschränkt) Hilfe an.
  • Es wird im Testament an einem Gegenstand (i.d.R. Immobilie) ein Übernahmerecht ausgesprochen, dass z.B. einem der Erben ein prioritäres Recht bzw. Wahlrecht an dem Gegenstand einräumt (unter Anrechnung auf den Erbteil); ggf., wenn der Erstberufene den Gegenstand verweigert, rücken andere Personen nach.
  • Im Extremfall kann für den Nachlass oder für einen Teil des Nachlasses über einen bestimmten Zeitraum ein Teilungsverbot angeordnet werden.
  • Und bei Unternehmen bzw. im Gesellschaftsrecht: Sogenannte „qualifizierte Nachfolgeklauseln“ in Gesellschaftsverträgen hinsichtlich der Person des Nachfolgers sorgen für flexible Regelungen.Es ist fast so, dass „auf jeden Topf ein Deckel passt“.Ich verbleibe mit dieser Lebensweisheit und mit freundlichen Grüßen.IhrRechtsanwalt Dr. Matthias Baus

Diese Mandanten-Information ist ein reines Informationsschreiben und dient der allgemeinen Unterrichtung meiner Mandanten und interessierter Personen. Es ersetzt nicht eine rechtliche Beratung.